Sind Videospiele ein Medium, wie jedes andere? Die Frage wurde oft diskutiert und nie eindeutig beantwortet.
Frank schaut „Game of Thrones“, Jasmin „Two and a Half Men“ und Manfred die Champion’s League. Was haben die drei gemeinsam? Die meisten Menschen würden diesen drei Personen, nur weil sie alle das Medium Fernsehen nutzen, nicht allzu viele Gemeinsamkeiten ausstellen. Heißt es dagegen „Mark spielt Skyrim, Silke Sims 4 und Norbert FIFA 17.“ ist die Frage in der Regel schnell beantwortet: Alle drei sind Gamer.
Rein objektiv betrachtet gibt es kaum einen Grund anzunehmen, dass Mark, Silke und Norbert mehr Gemeinsamkeiten hätten als Frank, Jasmin und Manfred. In beiden Fällen nutzen drei Personen das gleiche Medium um völlig unterschiedliche Inhalte zu rezipieren. Dennoch gehen wir im zweiten Fall davon aus, dass diese Personen Teil einer gemeinsamen Community oder Subkultur sind, auch wenn ihre Interessen, den Inhalten ihrer bevorzugten Spiele nach, unterschiedlicher kaum sein könnten.
Die Gamer-Identität
Anders als bei anderen Medien gibt es bei Videospielen so etwas wie eine gemeinsame Identität. Der beste Ausdruck dessen ist das Wort „Gamer“, mit dem sich viele von uns selbst beschreiben. Rezipienten anderer Medien haben dazu kein Äquivalent. Es gibt keine vergleichbare Selbstbezeichnung für Fernsehzuschauer, Kinobesucher oder Zeitungsleser. Was aber ist nun dieses identitätsstiftende Element von Spielen? Inwiefern unterscheiden sich Spiele von anderen Medien, als dass sie eine eigene Community begründen?
Frühe Spiele
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, ist es sinnvoll, sich die Entwicklung des Mediums vor Augen zu führen, vor allem seine Anfänge. Betrachtet man die Videospiele der 80er Jahre, kommt man noch gar nicht auf die Idee, einen Vergleich zu Filmen oder Büchern zu ziehen. Der Vergleich mit Brettspielen oder analogen Geschicklichkeitsspielen liegt hier näher. Pong oder Tetris erzählen keine Geschichten, sie stellen nur unsere Reflexe und unsere Hand-Auge-Koordination vor eine Herausforderung. Selbst in frühen Spielen, die eine Hintergrundgeschichte hatten, war diese meist nicht sonderlich komplex und selten mehr als schmückendes Beiwerk. Super Mario war nicht erfolgreich, weil die Geschichte um den Klempner, der die Prinzessin aus dem Trum der Riesenschildkröte rettet, so mitreißend war. Super Mario war erfolgreich, weil die Spielmechanik genau das richtige Verhältnis aus Herausforderung und Belohnung bot und so dem Spieler die Erfolgserlebnisse bereitete, die ihn zum Weiterspielen motivierten.
Komplexe moral-philosophische Überlegungen, wie die Protagonisten von Fallout oder Mass Effect, musste Mario dabei jedoch nicht anstellen. Die Geschichte wurde meist knapp mit einigen Textzeilen zwischen den eigentlichen Spielabschnitten abgehandelt. Alles in allem wäre bei diesen frühen Spielen ein Vergleich mit Filmen oder Printmedien nicht sinnvoll gewesen.
Spiele und die Community im Wandel der Zeit
Inzwischen haben Spiele jedoch ein ungleich höheres erzählerisches Potential, verglichen mit ihren Vorläufern. Die Geschichten, die erzählt werden, sind heute für viele Spieler mindestens genauso wichtig wie die Gameplay-Mechaniken selbst. Viele spielen Fantasy-Rollenspiele in erster Linie, weil sie Fantasy-Szenarien lieben. Die gleichen Gameplay-Mechaniken im Hier und Jetzt wären dagegen uninteressant. Sportspiele kommen bei den Fans der entsprechenden Sportart immer gut an, selbst wenn diese sonst nicht allzu viel mit Spielen am Hut haben. Und selbst bei Shooter-Fans, die ansonsten den sportlichen Wettbewerb in den Vordergrund stellen, spielt das Setting inzwischen eine größere Rolle, als Außenstehende vielleicht vermuten würden. So legen eingefleischte Call of Duty-Fans oft eine geradezu krankhafte Abneigung gegen Science-Fiction an den Tag – eine Aversion, die ich, am Rande bemerkt, keinesfalls nachvollziehen kann.
Solidarität – Zumindest nach außen
Doch auch Spieler, die sich nur auf ein bestimmtes Genre spezialisieren, akzeptieren eine gemeinsame „Gamer“-Identität als verbindendes Element. Trotz aller Streitigkeiten in Foren und sozialen Medien, gibt es zwischen Gamern letzten Endes immer auch Solidarität, zumindest gegenüber Nicht-Gamern. So ist im allgemeinen auch ein Fantasy-Rollenspieler solidarisch mit einem Shooter-Fan, wenn ein Politiker das Unwort „Killerspiele“ in den Mund nimmt. Im Gegenzug steht der Shooter-Fan auch an der Seite des Rollenspielers, wenn Hobby-Psychologen mit Worthülsen wie „Realitätsverlust“ um sich werfen.
Ist es also das, was Spiele von anderen Medien unterscheidet? Dass sie von der Gesellschaft anders bewertet werden? Im Großen und Ganzen würde ich diese Frage wohl mit „ja“ beantworten. Das allerdings wirft unweigerlich die weitere Frage nach dem „warum“ auf. Viele würde hier darauf hinweisen, dass Spiele ein relativ junges Medium sind. Dagegen sprechen allerdings deutlich jüngerer Medien, die keine eigene Subkultur geschaffen haben. Auch werden sie von der Gesellschaft nicht anders beurteilt werden als ältere Medien. Gemeint sind damit alle sozialen Medien, die binnen kürzester Zeit bei allen Altergruppen und Gesellschaftsschichten Anklang gefunden haben.
Was Spiele besonders macht: Interaktivität
Sucht man nach weiteren, objektiv feststellbaren Unterschieden zu anderen Medien, bleibt nur noch einer: Die Interaktivität. Zugegeben, ist selbst dieser Begriff etwas schwammig. Denn natürlich erlauben auch andere, moderne Medien, wie die eben erwähnten Social Media, interaktive Beteiligung der User. Allerdings sind Spiele das einzige Medium, das diese Beteiligung explizit erfordert und nicht rein passiv rezipiert werden kann. Spiele-Kritiker sehen diese Interaktivität oft als Grund, Spiele anders zu behandeln als andere Medien. Das ist allerdings ein äußerst dünnes Argument. Denn interaktiv oder nicht, ist doch zweifelsfrei klar, dass es sich um Fiktion handelt. Nach der Logik der Spiele-Gegner müssten in Folge auch Schauspieler oder Schriftsteller zu Gewalttätern werden, wenn sie Filmen oder Büchern mitgewirkt haben, in denen Gewalt vorkommt.
Grund zur Ungleichbehandlung?
Ist die Interaktivität von Spielen also eine Rechtfertigung, Spiele anders zu behandeln? Konkret, ihnen nicht die gleiche Freiheit der Kunst zuzugestehen , wie anderen Medien? Wir denken, nein. Spiele können genauso Kunst sein, wie Filme oder Bücher. Ist diese Interaktivität aber ein Grund, dafür, dass Spiele nicht ganz in der Mitte der Gesellschaft ankommen? Wir denken, ja. Ist das dagegen ein Grund, traurig zu sein? Es kommt auf die Sichtweise an.
Viele Menschen, ich würde meinen, eine Mehrheit, bevorzugen passive Berieselung gegenüber interaktiven Medien. Die Leute können dafür durchaus ihre Gründe haben, wie Stress am Arbeitsplatz. Leute, die einfach nur ausspannen wollen, denken sich keine komplexen Strategien aus und stellen ihre Reflexe nicht auf die Probe. Mit anderen Worten, sie sind nicht die primäre Zielgruppe für Spiele. Durch ihre Interaktivität fordern Spiele einen gewissen Einsatz, sind also kein Medium für Couch Potatoes. Mit anderen Worten: Nicht Mainstream. Wenn man bedenkt, dass Mainstream in der Regel mit einem Niveau von Bild oder RTL einhergeht, finden wir es ganz gut, dass Spiele so schnell nicht dort ankommen.
Mainstream – Was wären die Folgen?
Wer, oft sehr wohlmeinend, den Wunsch äußert, Spiele mögen doch in der Mitte der Gesellschaft ankommen, übersieht nämlich oft, dass in der Mitte der Gesellschaft auch unerfreuliche Dinge lauern. Für die Communities in Spielen und die Entwicklung von Spielen ist eine Gamer-Kultur und Gamer-Identität, wie es sie derzeit gibt, meines Erachtens durchaus heilsam. Weiter in der Mitte der Gesellschaft würde bedeuten, noch mehr Spiele wie Call of Duty und FIFA, aber weniger in der Art von The Last Guardian oder Okami. Wären Spiele ein Mainstream-Medium, würden Sexismus, Rassismus und Homophobie in den Communities sprunghaft ansteigen. Zum Glück sind Spiele (noch) nicht Mainstream.
Mehr zu diesem findet ihr auch in unserem Artikel über den Zweiten Weltkrieg in der Popkultur. Auch dort geht es um die Ungleichbehandlung von Spielen gegenüber Filmen, Serien und Comics.