Egal ob in Call of Duty oder Tomb Raider – Spielehelden sind heute oft verwundbarer und menschlicher als früher. Über die Popularität des neuen Realismus.
Mehr Realismus in Spielen ist offenbar gefragt und zwar nicht nur in Simulationen, die per se eine Nachahmung der realen Welt darstellen. Das beste Beispiel für die neue Liebe der Gaming-Community zum Realismus ist ohne Frage Call of Duty: WWII. Dort haben die Entwickler die Zeichen der Zeit erkannt und die Entfernung einiger unrealistischer Komfortfeatures angekündigt. Das Echo der Fans war überwiegend positiv. Die Mehrheit der Call of Duty-Spieler verzichtet liebend gerne auf Regeneration, unendliches Sprinten und Munition, die von Geisterhand aufgefüllt wird. Die Entwickler erklärten ganz bewusst, dass die Protagonisten keine Superhelden sein sollten und die Community teilt mehrheitlich diese Meinung. Auch Features wie das Boost Jumping aus Infinite Warfare vermisst in unter den Call of Duty-Fans kaum jemand.
Ein Jahr vor Call of Duty, setzte bereits Battlefield 1 auf Protagonisten, bei denen sofort klar war, dass sie einfache Soldaten und keine Superhelden waren. Das macht das Spiel schon im Prolog Stahlgewitter überdeutlich. Dort steuert der Spieler einen Soldaten solange, bis er tödlich getroffen wird und die Todesanzeige am Bildschirm aufscheint. So machen die Entwickler dem Spieler von Anfang an deutlich, wie vergänglich ein Menschenleben im Krieg ist.
Doch die beiden Shooter sind nicht die einzigen Beispiele für Franchises, die mit mehr Realismus erfolgreich sind. Während Activision bei Call of Duty nur auf die Stimmen der Fans reagierte, war der Schritt zu einer realistischeren Heldin in der Tomb Raider-Reihe deutlich mutiger. Weniger Brustumfang und mehr Stoff am Körper ist nicht unbedingt ein offensichtliches Erfolgsrezept, wenn es um die Vermarktung eines Videospiels geht. Trotzdem war der Reboot ein voller Erfolg. Die Fans fanden Gefallen an einer verletzlicheren Heldin in einer Welt, in der es keine gute Idee ist, bei Expeditionen in den eisigen Norden Hotpants zu tragen.
Aber auch Spiele, die einem alles andere als realistischem Szenario spielen, setzen, was die Protagonisten angeht, auf menschlichere, verwundbare Figuren. Die Rede ist natürlich vom immer beliebter werdenden Genre des Survival-Horror. Während für den tpyischen Fantasy-Helden Zombies maximal dann eine Bedrohung sind, wenn der Spieler gerade AFK ist, müssen die Protagonisten auch einen einzelnen Gegner dieser Art ernst nehmen. Aspekte wie Nahrung, Wasser und Erschöpfung waren vor einigen Jahren noch selten in einem Spiel ein entscheidender Faktor, werden heute aber zunehmend wichtiger.
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Mehr Realismus = höherer Schwierigkeitsgrad?
Der erste Impuls wäre, diesen Trend darin zu begründen, dass Spieler die Herausforderung suchen und schwierigere Spiele bevorzugen. Das muss jedoch nicht zwingend der Fall sein. Betrachten wir etwa als Beispiel die fehlende Regeneration in den Shootern. Das mag im Singleplayer-Modus den Schwierigkeitsgrad erhöhen. Im Multiplayer-Modus ist es dagegen so, dass alle Gegner ebenfalls auf diesen Vorteil verzichten müssen. Es kommt daher stark auf den Spielstil an, ob mehr Realismus das Spiel einfacher oder schwieriger macht. Beschränkte Ausdauer beim Sprinten ist das schönste Geschenk, das die Entwickler einem Camper machen können, während es das Überleben für Spieler, die mehr auf Mobilität setzen, deutlich erschwert.
Ein schwächerer Held ist auf den ersten Blick zwar ein Indikator für einen hohen Schwierigkeitsgrad, aber die Schwierigkeit hängt natürlich auch von der Umgebung ab. Daher sind Survival-Spiele auch nicht zwingend schwieriger als klassische Action-Adventures oder Rollenspiele. Es gibt keine allgemein gültige Formel, die festlegt, ob es schwieriger ist, als Soldat an der Front zu überleben, als Normalbürger mit drei Zombies im Garten klar zu kommen, oder als Halbgott einen Dämonenfürsten zu bezwingen.
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[nextpage title=“Next Page“]Spiele als Massenphänomen
Im Gegensatz zu den 90er und frühen 2000ern sind Spiele inzwischen in weiten Teilen der Gesellschaft angekommen. Spricht das für mehr oder weniger Realismus in den Spielen? Die meisten würden hier instinktiv antworten, dass Casualisierung eher weniger Realismus mit sich bringt. Wenn man sich nur auf Komfortfeatures im Singleplayer-Modus bezieht, mag diese Antwort richtig sein. Spiele sind zugänglicher, wenn man nicht lange darüber nachdenken muss, wie man seine Wunden versorgt und neue Munition auftreibt.
Anders sieht es dagegen oft mit der Darstellung des Helden und mit dem Setting aus. Der breite Mainstream kann mit menschlichen Figuren, die auch in der realen Welt existieren könnten, oft deutlich mehr anfangen, als mit Magiern, Superhelden und Halbgöttern. Leute, die mit Fantasy und Science-Fiction bisher nichts am Hut hatten und die „It’s magic“ nicht als Erklärung akzeptieren, können Spielen, in denen eine Heldin mit Modelmaßen in Highheels ein Schwert führen kann, das ungefähr dreimal so schwer ist, wie sie selbst und die Dessous als Rüstung verwendet, oft wenig abgewinnen. Das gleiche gilt für Barbaren, die im Lendenschurz durch den Schnee stapfen.
Viele Spieler können sich besser mit menschlichen Figuren identifizieren als mit übersteigerten Idealen. Das ist in diesem Fall allerdings nicht neu. Denn nicht umsonst ist der populärste Spieleheld ein dicker Klemper.
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[nextpage title=“Next Page“]Trend in allen Genres?
Werden Spiele allgemein realistischer? Bei den populärsten Genres und Franchises ist dieser Trend zu beobachten. Allerdings ist es auch nicht so, dass Fans von Fantasy, Science-Fiction und Superhelden-Szenarien jetzt in Panik ausbrechen müssten. MMORPGs etwa, sind zwar nicht mehr ganz so weit verbreitet wie noch vor einigen Jahren, aber dennoch eine feste Bastion fantastischer Szenarien, bei denen Entwickler mit Sicherheit nicht versuchen, die reale Welt zu simulieren.
Auch Action-Abenteuer wie God of War finden nach wie vor Anklang bei Spielern, die Helden mögen, die nicht den gleichen Grenzen unterliegen wie reale Menschen. Es wird also nach wie vor Spiele geben, in denen die Helden mit fantastischen Kräften um sich werfen und den Gesetzen der Physik den Stinkefinger zeigen. Ob sie kommerziell mit dem Erfolg von Spielen, die stärker in der realen Welt verwurzelt sind, mithalten können, bleibt aber zu bezweifeln.
Bevorzugt ihr Spiele realistisch oder seht ihr sie eher als einen Weg, eine Welt zu erkunden, die nicht den selben Beschränkungen unterliegt, wie unsere? Wie viel Realismus braucht ein Spiel um glaubwürdig zu sein und was ist zu viel des Guten? Sagt uns eure Meinung dazu in den Kommentaren! Folgt uns auf Facebook, wenn ihr keine News aus der Welt des Gaming verpassen wollt.