Ubisofts Vorzeigeserie hat sich im Laufe der Jahre immer weiter von ihrem ursprünglichen Fokus auf sorgfältig erzählte Geschichten entfernt und stattdessen auf offene Spielwelten und RPG-Elemente gesetzt. Doch einige der besten erzählerischen Momente der gesamten Reihe stammen aus Assassin’s Creed 2 und Assassin’s Creed 3.
Einer dieser Höhepunkte findet sich bereits zu Beginn von Assassin’s Creed 3. Haytham Kenway hat gerade seine vermeintlichen Assassinen in der Neuen Welt versammelt. Der Spieler glaubt, dass er die Rolle eines Helden übernimmt – Haytham nutzt eine versteckte Klinge, ist charismatisch und kämpft gegen britische Besatzer. Doch dann fällt der ikonische Satz: „Möge der Vater des Verstehens uns leiten.“ Erst in diesem Moment wird klar: Wir haben die ganze Zeit aus der Perspektive der Templer gespielt – der eigentlichen Feinde der Assassinen.
Das unterschätzte AC3 bietet die beste Balance aus Gameplay und Story der gesamten Reihe. | Bildnachweis: Ubisoft
Dieses überraschende Storytelling demonstriert das volle erzählerische Potenzial von Assassin’s Creed. Während der erste Teil mit seinem vielversprechenden Konzept zwar das Grundgerüst legte, blieben sowohl der Protagonist Altaïr als auch seine Gegner blass. Assassin’s Creed 2 brachte mit Ezio Auditore einen charismatischeren Helden, ließ aber seine Gegenspieler weiterhin wenig ausgearbeitet. Erst mit Assassin’s Creed 3 gelang es Ubisoft, sowohl den Jäger als auch die Gejagten mit Tiefe zu versehen. Dadurch entstand eine organische Balance zwischen Erzählung und Gameplay, die seitdem kaum wieder erreicht wurde.
Während die aktuelle RPG-Ära der Serie von vielen Fans und Kritikern positiv aufgenommen wurde, sind sich viele einig, dass Assassin’s Creed inhaltlich nachgelassen hat. Die Gründe für diesen Rückgang werden kontrovers diskutiert. Einige kritisieren die zunehmend unrealistischen Szenarien, in denen Spieler gegen Götter wie Anubis oder Fenrir antreten. Andere stören sich an der Einführung vielfältiger Romanzen oder der umstrittenen Entscheidung in Assassin’s Creed Shadows, eine reale historische Figur – den afrikanischen Samurai Yasuke – als Hauptcharakter zu verwenden. Doch in meinen Augen liegt das Problem woanders: Die Serie hat sich schrittweise von ihrer charaktergetriebenen Erzählweise verabschiedet und diese unter der schieren Größe ihrer Open-World-Spiele begraben.
Über die Jahre hinweg hat sich Assassin’s Creed immer weiter von seiner ursprünglichen Action-Adventure-Formel entfernt und stattdessen RPG- und Live-Service-Elemente integriert – darunter Dialogbäume, XP-basierte Levelsysteme, Lootboxen, Mikrotransaktionen und umfangreiche Ausrüstungsanpassungen. Doch je größer die Spiele wurden, desto leerer wirkten sie. Nicht nur die zahllosen Nebenmissionen, sondern auch die grundlegende Erzählweise litten unter dieser Entwicklung.
Obwohl ein Spiel wie Assassin’s Creed Odyssey objektiv mehr Inhalte bietet als Assassin’s Creed 2, fühlen sich viele dieser Inhalte hölzern und unausgereift an. Die Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen, sollte eigentlich für mehr Immersion sorgen, doch in der Praxis führt sie oft zum Gegenteil: Die Drehbücher werden immer länger, um alle möglichen Handlungsverläufe abzudecken, verlieren dabei aber an erzählerischer Dichte. Im Gegensatz dazu ermöglichten die fokussierten, filmähnlichen Skripte der früheren Teile scharf gezeichnete Charaktere, die nicht durch die Freiheit des Spielers in ihrer Persönlichkeit verwässert wurden.
Haytham Kenway ist einer der am besten ausgearbeiteten Schurken in Assassin’s Creed. | Bildnachweis: Ubisoft
Ein weiterer Aspekt, in dem das moderne Assassin’s Creed zurückgefallen ist, ist die moralische Ambivalenz der Geschichte. Während die neueren Teile meist eine einfache Schwarz-Weiß-Darstellung bieten – Assassinen = gut, Templer = böse – gingen die älteren Titel deutlich nuancierter mit dieser Thematik um. Assassin’s Creed 3 beispielsweise ließ besiegte Templer in ihren letzten Worten Connors (und damit auch die des Spielers) Überzeugungen hinterfragen. William Johnson behauptet, die Templer hätten den Genozid an den Ureinwohnern verhindern können. Thomas Hickey stellt die Mission der Assassinen als unrealistisch dar. Benjamin Church erklärt, dass alles nur eine Frage der Perspektive sei – schließlich sähen sich die Briten als Opfer, nicht als Aggressoren.
Besonders eindrucksvoll ist Haythams Versuch, Connor an der Integrität von George Washington zweifeln zu lassen. Er argumentiert, dass das von Washington geschaffene Amerika nicht weniger tyrannisch sein werde als die Monarchie, gegen die es kämpft – ein Argument, das noch mehr Gewicht erhält, als sich herausstellt, dass der Befehl zur Zerstörung von Connors Heimatdorf nicht von Charles Lee, sondern von Washington selbst kam. Am Ende des Spiels bleiben mehr Fragen als Antworten – und genau das macht die Geschichte so stark.
Diese Art von tiefgehender Erzählung hat sich in den modernen Teilen der Reihe zunehmend aufgelöst. Die frühen Assassin’s Creed-Spiele hatten ihre Schwächen, doch sie zeichneten sich durch einen erzählerischen Fokus aus, der heute in den weitläufigen, aber oft leeren Welten der modernen Titel verloren gegangen ist. Und genau das ist es, was Assassin’s Creed 2 und 3 zu den besten erzählten Spielen der gesamten Reihe macht.